Lust oder Frust? Wie es ist, auf einem Bauernhof aufzuwachsen
"Das ist ja mal ein Traum!“ Den Satz höre ich meistens, wenn ich über meine Kindheit auf dem Bauernhof spreche. Doch wie traumhaft ist es wirklich, auf einem Hof groß zu werden? Ich erzähle euch, warum ich mir als Kind genau das Gegenteil gewünscht habe und wie ich heute darüber denke.
Den ganzen Tag draußen verbringen, mit den Tieren spielen, quer über die Felder rennen – so idyllisch stellen sich viele eine Kindheit auf dem Bauernhof vor. Wie aus dem Bilderbuch eben.
Tatsächlich war ich als Kind alles andere als glücklich über die Landwirtschaft meiner Eltern. Ich habe mir sehnlichst ein „normales“ Einfamilienhaus mit Garten gewünscht anstatt eines Bauernhofs mit Schweinen. Kaum zu glauben, oder?
Eine Landwirtschaft ist Arbeit, kein romantisches Hobby
Einen Bauernhof hauptberuflich zu betreiben ist vor allem eins: Harte Arbeit. Und das ständig. Das ganze Jahr über.
Dieser Aspekt kommt meiner Meinung nach in den Medien fast immer zu kurz. Wir sehen eine romantisierte Landwirtschaft, aber nicht die Arbeit und vor allem die vielen Abhängigkeiten dahinter. Eine Woche Urlaub nehmen und wegfahren, den Kopf frei kriegen, abschalten. Das ist mit einem Hof oft eine Herausforderung. Wer sich heute bewusst für die Landwirtschaft entscheidet, muss eine extrem große Leidenschaft dafür haben. Diese Leidenschaft habe ich nicht mitbekommen und das meine ich gar nicht negativ.
Meine Eltern haben noch sehr viel anstrengende, körperliche Handarbeit verrichten müssen. Sie sind beide in den 1960er Jahren auf einem Bauernhof aufgewachsen. Mittlerweile gibt es viele Maschinen, die die körperliche Arbeit extrem erleichtern. Dennoch geht nicht alles maschinell. Meine Eltern haben den Hof vor über 25 Jahren auf Bio umgestellt. Das war für sie Voraussetzung, um den Hof weiter zu bewirtschaften. Bio bedeutet aber auch heute noch viel Handarbeit.
Um von dem Hof auch eine Familie ernähren zu können, haben sich meine Eltern auf Schweineaufzucht nach Biorichtlinien spezialisiert. Dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft folgend, bauen wir das Futter für die Tiere auf den eigenen Feldern an und bringen den Mist als Dünger wieder darauf aus. Das Fleisch der Schweine verkaufen wir direkt über den eigenen Hofladen. Außerdem vermarkten wir Schweine an ein größeres Bio-Gut.
Stroh-Stapeln statt Strand-Urlaub
Apropos Mist: Die Schweine stehen hier auf keinen Spalten, sondern Stroh. Das wiederum stammt vom geernteten Getreide. Nach der Ernte wurde das Stroh in kleine eckige Quader gepresst und auf dem Hof eingelagert. Das Schichten der Quader war reine Handarbeit. Da muss die ganze Familie mithelfen. Und ich kann euch sagen, bei 30 °C in der stickigen Scheune Stroh zu schichten während Freund:innen im Freibad oder Urlaub sind, macht als Kind keinen Spaß.
Auch die ersten Kartoffeln mussten immer mit der Hand geerntet werden. Ganz zu schweigen vom zeitaufwändigen Unkrauthacken davor... Der Sommer ist die arbeitsintensivste Zeit auf einem Bauernhof. Genau dann, wenn andere Familien Urlaub machen oder viele Ausflüge unternehmen. Italien, Spanien, Griechenland, davon habe ich als Kind immer geträumt.
Doch das gab es so gut wie gar nicht. Deshalb habe ich all meine Freund:innen so extrem beneidet, die keinen Hof zuhause hatten bzw. regelmäßig in den Urlaub gefahren sind.
Was ich als Kind auch überhaupt nicht verstehen konnte war, Urlaub auf einem Bauernhof zu machen. „Wie kann man denn nur so blöd sein“, dachte ich mir regelmäßig, wenn ich davon hörte. Heute schmunzle ich natürlich über diesen Gedankengang, aber ich würde tatsächlich noch immer keinen Urlaub auf dem Bauernhof machen.
Ein Bauernhof bedeutet Abhängigkeit – örtlich, zeitlich und vom Wetter
Neben der Arbeit ist Landwirtschaft mit einer großen örtlichen Abhängigkeit verbunden. Oftmals höre oder lese ich vom Traum, einen eigenen Hof zu besitzen. Am liebsten mit ganz vielen Tieren. Diese Tiere müssen (mehrmals täglich) versorgt werden – 365 Tage im Jahr. Bei ihnen kann man keinen Urlaub einreichen oder sich mal einen Brückentag nehmen, um spontan wegzufahren. Ein Wohnort-, Job- oder sogar Branchenwechsel ist so gut wie unmöglich.
Neben der Ortsgebundenheit hat sich auch die Abhängigkeit vom Wetter sehr in mir eingeprägt. So ziemlich jede Arbeit auf dem Feld ist vom Wetter abhängig. Ob das Bestellen, Säen oder Ernten – die Wetterlage bzw. -prognose muss stimmen. Dadurch war eben auch die Stimmungslage meiner Eltern davon abhängig, ob das Wetter nun passte oder nicht.
Diese verschiedenen Faktoren haben den Bauernhof für mich als Kind oft zu einem Klotz am Bein gemacht, den ich unbedingt loswerden wollte.
Hinzu kommt, dass ich vor 10 bis 20 Jahren das Gefühl hatte, dass die Landwirtschaft ein eher niedriges Ansehen besitzt. Bauern und Bäuerinnen wurden meiner Empfindung nach eher als „niedrige Arbeiter:innen“ gesehen, denn als eine systemrelevante Berufsgruppe. Gerade Bio-Landwirtschaft wurde damals noch sehr belächelt. So habe ich mich als Kind (leider) eher dafür geschämt, von einem Bio-Bauernhof zu kommen.
Natürlich spiegelt dieser ganze Artikel meine rein persönliche, subjektive Wahrnehmung. Ich würde heute sagen, dass das Image der Landwirtschaft in den letzten 10 Jahren zum Glück deutlich gestiegen ist. Vor allem im Zuge der Klimakrise und letztlich auch der Coronapandemie haben viele Menschen begonnen, sich mit der Herkunft ihrer Lebensmittel auseinander zu setzen.
Wie ich heute über meine Kindheit denke
Ich habe riesigen Respekt vor meinen Eltern, wie sie die Hofübernahme gemeistert haben. Und eben Respekt vor der Landwirtschaft allgemein. Allerdings sehe ich nach wie vor hauptsächlich die Abhängigkeit und Arbeit, die sich in mir (negativ) eingeprägt haben. Das ist ein Grund, warum ich aktuell keinen eigenen Hof haben wollen würde.
Gleichzeitig bin ich sehr dankbar wie ich aufgewachsen bin. Den früheren “Frust” überwiegen für mich das Wissen über Landwirtschaft und der wertschätzende Umgang mit Lebensmitteln, den ich erfahren durfte.
Denn: Wenn du Kartoffeln selber mit der Hand geerntet hast, wirst du sie nicht einfach wegwerfen, nur weil die Schale etwas verschrumpelt ist.