Landwirtschaft: Was wären angemessene Preise für Milch, Eier & Co.?
Die Preise für Lebensmittel sind in den letzten Jahren und insbesondere in letzter Zeit gestiegen. Dafür gibt es viele Gründe – doch Fakt ist, dass trotz gestiegener Preise viele landwirtschaftliche Betriebe nicht oder kaum von den Erhöhungen profitieren und ihre Erzeugnisse zum Teil sogar unter den Produktionskosten verkaufen müssen. In diesem Beitrag zeigen wir Dir, warum diese Diskrepanz herrscht und was angemessene Preise für Milch und andere landwirtschaftliche Produkte wären.
Wie entstehen Preise für Lebensmittel?
Die Preisfindung bei Lebensmitteln ist sehr komplex. Auf der einen Seite sind verschiedene Branchen an der Produktion, Verarbeitung, Logistik, Lagerung und Verteilung der Lebensmittel beteiligt und wollen an den Erlösen in der Wertschöpfungskette beteiligt werden. Schauen wir uns beispielsweise einen Liter Milch an, den Du im Supermarkt kaufst. Der Preis, den Du an der Kasse zahlst, berücksichtigt die Kosten des Milchbetriebs, der Molkerei, des Einzelhandels und der Logistik (siehe Grafik). Außerdem beeinflussen (geo)politische Ereignisse wie Lieferschwierigkeiten, Steuererhöhungen bei Energie und klimatische Bedingungen die Produktion und Verteilung von Lebensmitteln, was sich auch auf den Preis im Supermarkt auswirkt.

Zum anderen leben wir in Deutschland in einer Marktwirtschaft, in der Märkte und die Verfügbarkeit von Gütern die Preise mitbestimmen. So wird auf deutschen Höfen beispielsweise mehr Milch produziert, als inländisch konsumiert wird und daher exportiert werden muss. Ein Angebot, das oberhalb der Nachfrage liegt, sorgt für Preisdruck. Ein weiterer Einflussfaktor ist die große Marktmacht des in Deutschland hochkonzentrierten Lebensmitteleinzelhandels. Um mit niedrigen Preisen um Kunden konkurrieren zu können, verhandelt dieser mit seinen Zulieferern Sonderkonditionen. Tiefpreiskampagnen und häufige Sonderangebote führen zu Erzeugerpreisen, die teilweise unter den Produktionskosten liegen. Auch die Politik ist grundsätzlich an niedrigen Lebensmittelpreisen interessiert, denn dadurch bleiben wertvolle Nahrungsmittel für alle bezahlbar.
2018 betrug der durchschnittliche Literpreis für Milch 78 Cent, von denen die Erzeuger weniger als die Hälfte erhielten.
36 Cent: Milchbetrieb
1,4 Cent: Transport vom Hof zur Molkerei
8,3 Cent: Molkerei
8,5 Cent: Verpackung
1,8 Cent: Entsorgungsgebühr Grüner Punkt
3,1 Cent: Lager und Logistik zwischen Molkerei und Einzelhandel
13 Cent: Handel
5,1 Cent Mehrwertsteuer
Erzeugerpreise und Produktionskosten
Die genannten Einflüsse auf die Preisgestaltung führen dazu, dass Landwirte immer wieder Erzeugerpreise erhalten, die unter den tatsächlichen Produktionskosten liegen. Für 1 l Milch bekamen die Milchbetriebe 2019/2020 im Durchschnitt 38 Cent – die tatsächlich entstehenden Kosten lagen jedoch bei 43,90 Cent, wie unsere Kalkulation zeigt:
Kategorien von Kostenpunkten | Subkomponenten zu jeder Kategorie | Kosten in Cent pro Kilogramm |
Direktkosten der Tierhaltung | Tierkäufe, Besamung, Tierversicherungen, Futtermittel, Tierarzt und Medikamente, Wasser, Heiz- und Elektrizitätskosten | 31,92 |
Löhne | Löhne, Arbeitgeberkosten, Lohnarbeit | 5,52 |
Maschinen | Kauf, Miete und Wartung von Maschinen, Treibstoff, Öle, Absetzung für Abnutzung, Versicherungen und Zinssatz für Maschinenvermögen | 3,24 |
Gebäude | Unterhaltung der Gebäude, Absetzung für Abnutzung, Versicherungen und Zinssatz für Gebäudevermögen | 2,24 |
Sonstige Kosten |
| 0,93 |
Gesamtkosten |
| 43,90 |
Bei der Produktion von Hühnerfleisch sah es nach Kalkulationen aus dem Jahr 2017 ähnlich aus, da die Landwirte einen durchschnittlichen Erzeugerpreis von 84 Cent pro Kilogramm erhielten, ihnen jedoch Kosten in Höhe von 93,60 Cent entstanden (Differenz von -9,60 Cent pro kg). Legehähnenbetriebe arbeiteten entweder knapp kostendeckend oder mit einer leichten Negativdifferenz (Erzeugerpreis: 12,25 Cent pro Ei, Produktionskosten: zwischen 11 und 12,60 Cent pro Ei). Steigende Benzin- und Futterpreise hatten zu höheren Produktionskosten geführt.

Was sind die Auswirkungen niedriger Preise auf die Landwirtschaft?
Niedrige Erzeugerpreise haben vielfältige Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Arbeitsweise. Studien zeigen, dass sie die Existenz vor allem kleinerer Höfe bedrohen, zu Abhängigkeiten von Subventionen führen und Auswirkungen auf Tierwohl und Naturschutz haben.

‚Höfesterben‘: Für das sogenannte Höfesterben gibt es viele Gründe, darunter die Kombination aus niedrigen Erzeugerpreisen, steigenden Kosten und verhältnismäßig geringe Subventionen für flächenarme Betriebe. Die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe geht seit Jahren kontinuierlich zurück.

Abhängigkeit von Subventionen: Mit der „Gemeinsamen Agrarpolitik“ (GAP) versucht die Europäische Union, die landwirtschaftliche Betriebe zu stützen und zugleich bezahlbare Lebensmittel für alle zu gewährleisten. Hintergrund für GAP-Subventionen sind Unterstützungen bei Preisverfall und die Verfügbarkeit bezahlbarer Lebensmittel für alle. Die Zahlungen aus Brüssel werden überwiegend auf Hektare umgelegt, dadurch erhalten Betriebe, die große Flächen bewirtschaften, mehr Unterstützung als kleinere.

Tierhaltung: Für Tierhalter ist die Gesundheit ihrer Tiere das wichtigste Gut, denn nur gesunde Tiere bringen auch eine gute Leistung. Doch gesetzliche Vorgaben und hohe Kosten der Tierhaltung bei gleichzeitig niedrigen Erlösen verhindern aktuell den Umbau von Ställen.

Naturschutz und Klima: Tierhaltung, die Düngung von Ackerflächen und der Einsatz von Maschinen verursachen Emissionen, die sich auf Klima und Natur auswirken. Besonders viele Emissionen entstehen bei einer intensiven Landnutzung, die auf eine möglichst hohe Effizienz ausgerichtet ist, um dem Preisdruck des Lebensmitteleinzelhandels standzuhalten. Während viele Landwirte eine extensivere Landnutzung befürworten, ist diese aufgrund der geringen Gewinnmargen in der konventionellen Landwirtschaft oft nicht möglich.
Was sind angemessene Preise für Lebensmittel wie Milch und Co und wie lassen sie sich umsetzen?
Angemessene Erzeugerpreise sollten sich an den tatsächlichen Produktionskosten für landwirtschaftliche Produkte orientieren und zudem Schwankungen durch klimatische und politische Einflüsse berücksichtigen. Damit dies geschehen kann, haben Forscher verschiedene ineinandergreifende Maßnahmen vorgeschlagen.
Informationen für Verbraucher: Viele Verbraucher achten bei ihrem Einkauf bereits auf verschiedene Kennwerte ihrer Lebensmittel, wie Nährwert, Folgen fürs Klima, Tierwohl und Produktionsbedingungen. Doch häufig fehlen umfassende Informationen, wie all diese Aspekte zusammengehören und wie sie sich auf die Preise auswirken. Die Einführung eines „Fair-Labels“ für deutsche Landwirtschaftserzeugnisse und vielfältige Informationen zu den Produktionskosten wären mögliche Schritte. Die Rewe-Gruppe testete im Jahre 2021 zudem in einem Nachhaltigkeitsmarkt in Berlin, wie sich eine doppelte Bepreisung mit einem „fairen“ und echten Preis für Lebensmittel auf das Kaufverhalten auswirkte.

Stärkung der Direktvermarktung: Bei der Direktvermarktung über Hofläden, Automaten oder auf Wochenmärkten können Landwirte die Preise ihrer Produkte selbst festlegen und eine größere Gewinnmarge einstreichen. Die Umsetzung solcher Konzepte ist jedoch mit Investitionen (zum Beispiel für die Einrichtung eines Hofladens) und erhöhten Lohnkosten verbunden. Spezielle Beratungs- und Finanzierungskonzepte können vor allem konventionelle Landwirte dabei unterstützen, ihre Produkte direkt und lokal zu vermarkten.
Freiwillige Selbstverpflichtung der Einzelhändler: Die hohe Dichte an Discountern führt zu Konkurrenz und Preisdruck unter den Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels, die keinerlei gesetzlichen Verpflichtungen unterliegen, Lebensmittel zu bestimmten Preisen einzukaufen. Da gesetzliche Eingriffe und damit einhergehende Sanktionen unwahrscheinlich sind, kann eine freiwillige Selbstverpflichtung der Supermärkte eine entsprechende Maßnahme sein. In einigen Bereichen gibt es bereits einige Initiativen: So haben sich Aldi und Lidl verpflichtet, ihr Fleischsortiment auf höhere Haltungsformen mit besseren Standards in der Tierhaltung umzustellen und die Rewe-Gruppe will Schweinefleisch aus 5D-Haltung vertreiben. Allerdings ist die Umsetzung vieler ambitionierter Pläne in diesem Bereich reine Theorie, da es nach wie vor keine Aussagen dazu gibt, wie ein flächendeckender Umbau der deutschen Tierhaltung rechtlich ermöglicht und finanziert werden soll.

Welche Auswirkungen haben angemessene Erzeugerpreise auf die landwirtschaftliche Produktion?
Angemessene Erzeugerpreise können viele positive Effekte auf Tierwohl, die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen, Umwelt und Klima haben:
- Arbeitskräfte in der Landwirtschaft erhalten höhere Löhne, die den Beruf wieder attraktiver machen und die Aufgabe kleinerer Familienbetriebe verhindern.
- Tierwohlmaßnahmen können finanziert und umgesetzt werden und zu einer artgerechteren Haltung beitragen.
- Kapital für Investitionen und Risikovorsorge kann zurückgelegt und finanzielle Engpässe können verhindert werden
- Umwelt- und Klimamaßnahmen wie Dauergrünland und Zwischenfrüchte können umgesetzt werden mit langfristigen positiven Effekten auf Bodenfruchtbarkeit, biologische Vielfalt und Umweltschutz.
Was Du beitragen kannst, damit die Erzeugerpreise für Lebensmittel angemessener werden
Lebensmittelpreise sind ein komplexes Thema und als Verbraucher hast Du nur bedingt Einfluss. Doch unterschätze die Macht Deines Einkaufsverhaltens nicht, denn mit Deiner Wahl beeinflusst Du beispielsweise die Entscheidungen der Einzelhändler! Was Du konkret tun kannst:
- Erkundige Dich nach Hofläden oder Gemüsekisten in Deiner Umgebung und unterstütze so die Direktvermarktung.
- Achte beim nächsten Supermarkteinkauf auf fair gehandelte Lebensmittel oder Tierwohllabel. Diese kosten häufig nur wenige Cent mehr und sind dennoch ein Signal an Deinen Einzelhandel, dass Du dich für angemessene Erzeugerpreise interessierst.
