Agriphotovoltaik: Nahrungsmittel und Energie auf einer Fläche produzieren
Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) auf Dächern und Freiflächen gehören inzwischen zum Alltagsbild. Doch um unsere Klimaziele in Deutschland zu erreichen, müssen wir laut wissenschaftlichen Berechnungen sechs- bis achtmal so viel Solarenergie erzeugen wie bisher. Die Solarmodule von Photovoltaikanlagen sind sehr platzintensiv – wohin also mit all den Solaranlagen, die für die Energiewende notwendig sind? Agriphotovoltaik könnte eine Antwort auf diese Herausforderung sein. Sie ermöglicht die gleichzeitige Erzeugung von Sonnenergie und landwirtschaftlichen Nutzpflanzen auf einer Fläche. Was genau Agri-PV ist, erklären wir in diesem Beitrag.
Was bedeutet Agriphotovoltaik?
Agriphotovoltaik (Agri-PV) steht für ein Verfahren, das landwirtschaftliche Flächen doppelt nutzt: PV-Anlagen produzieren Solarstrom über dem Feld, darunter wachsen Getreide und Gemüse oder weiden z.B. Schafe. Die verwendeten Solarzellen sind transparenter und lassen mehr Licht hindurch als diejenigen auf Dächern. Dadurch ermöglichen sie den Pflanzen die Photosynthese. Gleichzeitig schützen die Paneele die Pflanzen vor schädlichen Wettereinflüssen, wie Hagel, Starkregen oder langanhaltende Hitze. Agri-PV wird weltweit genutzt, besonders in Asien gehören die Anlagen bereits fest zum Landschaftsbild. Neben einer Doppelnutzung für den Pflanzenanbau werden sie auch für die Tierhaltung genutzt, in Vietnam beispielsweise in Verbindung mit der Aufzucht von Shrimps oder in den USA als Unterstände für Schafe und Rinder. In Deutschland ist das Fraunhofer Institut federführend in der Erforschung von Potenzialen und Herausforderungen von PV-Anlagen in der Landwirtschaft.
Vorteile und Chancen von Agriphotovoltaik
Agri-PV bietet kurz- und langfristig viele Chancen für Boden- und Pflanzenschutz, Ressourcennutzung, die Resilienz der Landwirtschaft, unsere Nahrungsmittelsicherheit und unser Klima.
Boden- und Pflanzenschutz: Extreme Wetterereignisse wie Hagel, Starkregen, Stürme, Hitzeperioden und Dürren nehmen immer mehr zu. Die Sommer seit 2017 haben deutlich gezeigt, dass Pflanzen unter langen Hitze- und Trockenperioden leiden, dass sie vertrocknen oder nur deutlich geringer Erträge erbringen. Die Böden trocknen aus und verfestigen sich – kommt es dann zu Niederschlägen, können sie das Wasser nur schwer aufnehmen. Bei Hagel, starken Regenfällen und Stürmen besteht zudem die Gefahr, dass ganze Schichten des Bodens weggeschwemmt werden. Agri-PV kann diesen Effekten entgegenwirken, denn die Anlagen schützen zum einen vor intensiver Sonneneinstrahlung. So trocknen Böden weniger aus und ermöglichen es, die Bewässerung kann reduziert und die Bodenqualität und -fruchtbarkeit können verbessert werden. Kommt es zu extremen Niederschlägen, schützen die Solarmodule die Pflanzen und verhindern Ernteeinbußen.
Verbesserte Ressourcennutzung: Agriphotovoltaik steht für eine optimierte Nutzung verschiedener Ressourcen. Sie nutzt landwirtschaftliche Flächen und die Sonne, sowohl zur Photosynthese als auch zur Stromerzeugung. Der erzeugte Strom eignet sich besonders für den Eigenverbrauch und kann zum Beispiel für die Kühlung von Obst und Gemüse oder für den Betrieb von Stallanlagen genutzt werden. Der durch die PV-Anlagen entstehende Schatten schützt Böden und Pflanzen vor Austrocknung, was wiederum die Notwendigkeit von Bewässerungsmaßnahmen senkt. Auch andere Materialien wie Folien, die zum Schutz vor Sonne eingesetzt werden, können durch Agri-PV reduziert werden.
Resilienz der Landwirtschaft: Landwirtschaftliche Betriebe wirtschaften unter sehr herausfordernden Bedingungen, denn sie unterliegen nicht nur Wettereignissen, gesetzlichen Auflagen und dem Preisdruck nationaler und internationaler Märkte sondern auch den Wechselfällen des Wetters. Die Doppelnutzung landwirtschaftlicher Freiflächen bietet Landwirten und Landwirtinnen die Chance, Einkommensquellen zu diversifizieren und stabilere Einnahmen zu generieren. Studien der Universität Hohenheim und des Fraunhofer Instituts zeigen, dass sich Agri-PV durchaus könomisch interessant sein kann. Unter Agriphotovoltaik wachsender Weizen brachte in einem Versuch 80 % der Erträge eines offenen Ackers ein. Zusammen mit dem erzeugten Strom ergab sich jedoch ein Ertrag von 160 %.
Nahrungsmittelsicherheit: Die Weltbevölkerung ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig gewachsen. Geopolitische Ereignisse wie Konflikte und Kriege sowie dauerhafte klimatische Veränderungen und die unfruchtbaren Flächen stellen zudem Herausforderungen für die Versorgung der Menschheit dar. Die Nutzung von Agri-PV, der damit einhergehende Schutz für Pflanzen und Boden und sicherere Erträge können die Ansprüche an eine effiziente, klimaschonende Landwirtschaft erfüllen und die Nahrungsmittelsicherheit verbessern.
Klima: Die Folgen des Klimawandels sind unbestreitbar und es gilt, dessen Effekte so schnell wie möglich abzufedern. Die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien verursacht kaum schädliche Emissionen. Agriphotovoltaikanlagen nutzen die großen Freiflächen der Landwirtschaft auf doppelte Weise und bieten Lösungen, die helfen, Deutschlands Klimaziele zu realisieren.
Herausforderungen von Agriphotovoltaik
Agri-PV bieter Ansätze zum Ausbau einer nachhaltigen, klimafreundlicheren Landwirtschaft. Es gibt jedoch einige politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die es landwirtschaftlichen Betrieben erschweren, hier noch stärker zu investieren.
Politische Rahmenbedingungen: Die Installation von Agri-PV ist teuer und erfordert viele Investitionen, die für landwirtschaftliche Betriebe ohne Förderungen häufig nicht umsetzbar sind. In Deutschland gibt es erst seit 2022 – nach einer Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetztes (EEG) - Ausschreibungsmöglichkeiten die auch Agri-PV umfassen. Hinzu kommt, dass die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen in Deutschland bestimmten Beschränkungen unterliegt. So sind zum Beispiel nur ausschließlich landwirtschaftlich genutzte Flächen EU-rechtlich förderfähig. Eine PV-Anlage ändert den Nutzungszweck und ob dadurch die zuvor gezahlte Prämie wegfällt oder nicht, hat bisher noch kein Gericht entschieden.
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen: Photovoltaikanlagen verändern, ähnlich wie Windräder, das Landschaftsbild was häufig zu Widerstand in der Bevölkerung führt. Das Fraunhofer Institut empfiehlt daher, alle Interessengruppen frühzeitig in die Planung von Agri-PV Anlagen einzubeziehen und Anwohner vor Ort an der Wertschöpfung der Anlagen, ähnlich wie bei Bürger-Windparks, teilhaben zu lassen.
Fehlende Forschung: Es gibt nicht nur eine einzige Variante von Agriphotovoltaikanlagen, denn diese müssen an die Bedarfe der Anbaukultur, die herrschenden Licht- und Bodenverhältnisse angepasst werden. Während im Ausland bereits mehrjährige Studien und Versuche laufen, gibt es in Deutschland bisher nur wenige Test- und Praxisanlagen, an denen verschiedene Verfahren erprobt werden. Aufgrund der fehlenden Ergebnisse lassen sich einige der Vorteile von Agriphotovoltaik bisher deshalb nur vermuten. Es wird beispielsweise angenommen, dass Agri-PV-Anlagen die Winderosion, also die Abtragung von Bodenschichten durch Wind, vermindern kann und Möglichkeiten für die Sammlung von Wasser bieten Für beide Annahmen gibt es bisher jedoch keine Studienergebnisse, da die Forschung sich noch in den Anfängen befindet.
Fazit zu Agri-PV: Hohes Potenzial in Zeiten des Klimawandels
Die Energiewende stützt sich auf Solarstrom, der jedoch massiv ausgebaut werden muss, um unsere Klimaziele zu erreichen. Freiflächen für PV-Anlagen sind jedoch ein begrenztes, wertvolles Gut. Mit Agriphotovoltaik lassen sich landwirtschaftliche Flächen doppelt nutzen, indem Nahrungsmittel- und Stromerzeugung in verschiedenen Höhen auf einem Acker stattfinden. Diese Doppelnutzung kann viele Vorteile mit sich bringen, nicht zuletzt mehr wirtschaftliche Sicherheit für Landwirte und Landwirtinnen. Wenige Förderauschreibungen und Forschung, die in den Kinderschuhen steckt, haben eine breite Umsetzung bisher verhindert. Nach in Kraft tretenen des geänderten EEG im Jahre 2022 kann Agri-PV einen neuen Boom erleben.